Mark Ernestus und Jeri-Jeri

Man kann die Zusammenarbeit von Mark Ernestus und den senegalesischen Musikern um Bakane Seck als eine zufällige Begegnung beschreiben, in deren Verlauf beide Seiten sich ineinander verhakten. Mark hatte zufällig auf einem Festival ein DJ-Team von Gambianern Mbalax spielen hören und war von den Rhythmen angefixt. Er machte sich sofort auf die Suche nach mehr davon. Bei YouTube und in den afrikanischen Plattenläden des 18. Arrondissements in Paris stieß er jedoch bald an Grenzen. Wenn er weiterforschen wollte, musste er direkt in den Senegal oder nach Gambia fahren, was Mark dann auch tat - zunächst ohne dort jemanden zu kennen. Durch eine Kette von höchst unwahrscheinlichen Zufällen traf er in Dakar Bakane Seck, einen der avanciertesten Mbalax Musiker, den Mark schon von Kassetten und YouTube Videos her kannte. Aus der Begegnung wurde dann praktisch aus dem Stand eine musikalische Zusammenarbeit, die zu Aufnahmen im Prince Arts Studio (dem früheren Xippi Studio) in Dakar führte, einer der Hauptproduktionsstätten von Mbalax. Wobei, wie Bakane sagt, eine der Voraussetzungen für die Arbeit das sich sofort einstellende Gefühl war, dass man sich über den Rhythmus von Rede und Körpersprache verstand. Über Bakane lernte Mark hauptsächlich in Dakar und Kaolack dann auch die Hintergründe kennen, die Mbalax in Senegal und Gambia zu einem regionalen Musikphänomen machen, das tief in der westafrikanischen Musikgeschichte - oder genauer: Nachrichtengeschichte wurzelt und dennoch - oder vielleicht genau deshalb - so universell wirken kann.

Bakane ist ein Sabartrommler. Er entstammt einer großen Griot-Familie, die um die 60 Sabartrommler umfasst, oder je nach Zählweise auch deutlich mehr. Sabartrommeln ist dabei mehr als nur das Erzeugen von rhythmischen Tönen: es ist eine Lebensform. Gelernt und ausgeübt wurde das Sabartrommeln traditionell ausschließlich innerhalb der Griot-Familien. Die Griots werden als Trommler, Musiker, Sänger und Erzähler in den westafrikanischen Gesellschaften meist hoch verehrt und bewundert, gelten jedoch gleichzeitig als eine der niederen Kasten, wobei das innerhalb der meisten Stämme teilweise bestehende Kastensystem in den letzten Jahrzehnten durchlässiger geworden ist, so gibt es heute vermehrt auch Trommler oder Sänger, die auch in der traditionellen Musik anerkannt werden, obwohl sie nicht Griots sind - während es etwa in Bakanes Generation noch normal war, dass Kinder aus Trommlerfamilien nicht zur Schule gingen, sondern ausschliesslich das Trommeln lernten. Den Stellenwert der Griots als Bewahrer und Übermittler der Traditionen und der Oral-History Westafrikas beschreibt das Sprichwort: Wenn ein Griot stirbt ist das wie wenn eine Bibliothek abbrennt. Die Sabartrommel diente ursprünglich auch der Nachrichtenübermittlung. Sie wird mit einer Hand und einem Stock in der anderen Hand geschlagen, meistens in einem Trommelständer hängend oder auf dem Boden stehend. Es gibt einige Unterarten von Sabartrommeln, die in der Höhe von ca. 40 bis ca. 80 cm variieren, sich in Form und Bespannung unterscheiden und im Trommelorchester unterschiedliche Rollen haben wie Tungune, Khine Baye Fall, Mbeung Mbeung, Thiole, Lambe, Talmbat, Nder Mbalax und Sabar Nder. Die 20 bis 25 cm breite obere Öffnung ist mit rasiertem Ziegenfell bespannt, meistens mit Hilfe von sieben seitlichen Holzpflöcken, mit denen die Trommel auch gestimmt wird. Der Körper wird aus Holz des Dimbe Baumes geschlagen.

Mbalax steht seit Mitte der 70er Jahre als Begriff für die moderne elektrische Tanz- und Unterhaltungsmusik im Senegal und in Gambia. Davor hat in weiten Teilen Afrikas, besonders jedoch in Senegambia kubanische Tanzmusik dominiert. Im Radio und in den Clubs und Bars wurde fast ausschließlich Salsa gespielt, bis Mbalax kam, also die bis dahin üblichen Congas durch Sabartrommeln ersetzt wurden und Spanisch als Gesangssprache durch Wolof, der verbreitetsten Stammessprache im Senegal. Es sind diese beiden Elemente, die Mbalax charakterisierten und das Neue ausmachten - Mbalax ist dabei ursprünglich ein anderes Wort für Mbeung Mbeung, eine der Sabartrommeln. Mit der Einführung der Sabartrommeln mit ihren spezifischen Tönen und Rhythmen wurde die Unterhaltungsmusik sozusagen senegambisch. Und es waren einige Sabartrommler aus der Jeri-Jeri Familie, die Mbalax entscheidend mit geprägt haben - wie Aziz Seck, Thio Mbaye oder Bada Seck. Bakane Secks Vater, Yimougoor Seck, war einer der bedeutendsten Sabartrommellehrer im Senegal. Der weit reichende Einfluss des Jeri-Jeri Clans geht wesentlich auf ihn zurück. Mbalax ist nicht nur eine Tanzmusik, sondern insbesondere über den Einfluss der Griot-Kultur auch Ausdruck gesellschaftlicher und religiöser Umgangsformen. Oder anders herum gesehen: im Mbalax werden die alten religiösen und clanspezifischen Bindungen und Werte wie Respekt, Disziplin und Toleranz immer auch in ein popkulturelles Feld überführt, das schon durch die Verbreitung über Kassetten, Radio und Fernsehen zu Öffnungen führt wie Mark Ernestus Arbeit mit den Jeri-Jeri in Dakar. Mark, der als Techno- und Dubproduzent im Ruf eines Minimalisten, eines Meisters im Weglassen-Können steht, fühlte sich gerade in den „gnadenlos repetetiven“ Momenten sehr zuhause, und empfand z.B. in den auf dem Yamaha DX-7 Keyboard gespielten, oft “gebrochen” anmutenden Marimba Sequenzen - einem der prägenden Elemente im heutigen Mbalax - enge Verwandtschaft zur Maschinenmusik. Nur wird im Mbalax alles hochdiszipliniert mit der Hand gespielt. Es sind die selben Trommler, die als Studio- und Livemusiker mit elektrischer Musik arbeiten, die auch in traditionellerem Rahmen vor Ringkämpfen, auf religiösen oder Familienfesten, oder auf einfachen nächtlichen Strassenpartys - auch Sabar genannt - in der Nachbarschaft spielen, meistens mit TänzerInnen, manchmal auch mit SängerInnen. Oft ergreifen Trommler, Familienmitglieder oder andere Gäste das Mikrofon um sich gegenseitig zu preisen und Komplimente auszutauschen. Es sind Lobfeste, auf denen "der Teufel verjagt wird" und die Bindungen im Clan immer wieder neu fundiert werden. Die verschiedenen Trommeln im Orchester werden dabei teilweise streng synchron und teilweise polyrhythmisch hochkomplex gegeneinander gespielt, oft bis an die Grenze zum scheinbaren Chaos.

Eine Situation wie sie Mark dann auch im Studio wiederfand. Mit Größen des Mbalax wie Bakane Seck, Bada Seck, Babacar Seck, Moussa Traore, Laye Lo, Yatma Thiam und Mbene Diatta Seck als Sängerin verbrachte er mehrere Tage im Studio. Zu den von Bakane angeleiteten etwa zehn Trommlern aus der Jeri-Jeri Familie kamen noch Tamas (Talking Drums), Schlagzeug, Bass, Gitarre und Marimba Keyboard und teilweise Gesang. Dass Mark hier in so intensiver Form die musikalische DNS seiner bisherigen musikalischen Hauptinteressengebiete von Maschinenmusik bis Dub/Reggae wiederfindet, scheint die von der Reggaegruppe Wailing Soul so treffsicher formulierte Zeile zu bestätigen: „Every sound of the drum you hear is an African beat“. Oder um die Formel der sogenannten Weltmusik umzudrehen, nach der sich jede Musik der Welt mischen lässt: Das Universelle des Drumbeats taucht immer nur aus dem speziellen Raum einer lokalen Kultur auf.

Jeri-Jeri, in diesem Zusammenhang Name des von Mark Ernestus produzierten Projektes, das neben Mitgliedern der gleichnamigen Trommlerfamilie auch eine Reihe von weiteren Musikern und die Sängerin Mbene Diatta Seck einschliesst, treten am Sonntag, den 27. Mai beim "Wax Treatment Open Air Africa Special" im Hof des Clubs Gretchen vor dem Hintergrund des Karneval der Kulturen der Welt erstmalig in Europa auf. Am Samstag, den 26. Mai gibt es am späten Nachmittag einen Vorgeschmack in Form einer reinen Sabar Session - nur mit Sabartrommeln, Tama (Talking Drum) und Tänzern.

Cord Riechelmann